Joseph Paul

Joseph Paul

Umbau einer Notrufsäule

March 26, 2022 #hack

Für ein Kunsprojekt, das auf die Kinderrechte hinweisen soll, hat mich ein Freund gebeten, ein öffentliches Telefon zu bauen, das die jungen Menschen auf ihre Rechte aufmerksam macht und sie ermutigt, diese gegenüber Erwachsenen auch einzufordern.

Als Hardware-Plattform haben wir uns für eine Notrufsäule entschieden. Die sind wetterfest und es gibt sie als obsolete Technik bei eBay Kleinanzeigen frei zu kaufen.

Ziel

Beim Abheben des Hörers soll eine aufgenommene Nachricht wiedergegeben werden und das Licht oben aufleuchten. In einer erweiterten Version soll das Telefon bspw. bei Näherung einer Person klingelt und damit auf sich aufmerksam machen. Außerdem soll die Installation unabhängig von Landstrom sein. Unsere Notrufsäule hat schon ein Solarmodul auf dem Dach.

Reverse Engineering

Zuerst aber müssen wir uns mal damit auseinandersetzen, wie wir mit der Elektronik in dem Kasten interagieren können. Wir müssen die elektrischen Eigenschaften des Lautsprechers rausfinden und wie wir erkennen können, dass der Hörer abgehoben wird.

Gabel

Funktionsweise Gabel

[Magnettest Hörer]

Scheinbar hat der Hörer zwei gegesätzlich gepolte Magneten hinter dem Gehäuse an der Stelle, wo er die vorderer Auflagefläche der Gabel berührt. Das lässt darauf schließen, dass die Gabel anhand eines Magnetfeldes erkennt, ob der Hörer eingehängt ist. Vermutlich sind entweder Reed-Schalter oder Hall-Effekt-Sensoren verbaut.

Belegung Gabel

Ohne die Gabel mit Strom zu versorgen, kann zwischen keinem Paar der sechs Anschlussleitungen der Gabel ein Unterschied im Widerstand bei eingehängtem vs. ausgehängtem Hörer gemessen werden. Das spricht schon mal gegen einen einfachen Reed-Schalter, der direkt mit den Leitungen verbunden ist.

Aufgrund von Durchgangsmessungen auf dem PCB ergeben sich folgende Positionen für GND und +12V:

Gabel Steckerbelegung|700

Sobald die Gabel mit Spannung versorgt wird, hat SW bei ausgehängtem Hörer einen Widerstand von 0.6 Ω gegen GND, bei eingehängtem Hörer einen Widerstand von >100 MΩ.

Dementsprechend die Belegung der Kabel an der Gabel:

  • Rot: +12V
  • Braun: GND
  • Weiß: SW

An dieser Stelle müssen wir eigentlich nicht weiter herausfinden, welche Funktion die verbleibenden drei Kabel der Gabel haben. Wir werden einfach SW mit einem hochohmigen µC-Eingang verbinden (samt Pull-up) und den logischen Zustand des Eingangs folgendermaßen interpretieren:

  • LOW: Hörer ausgehängt
  • HIGH: Hörer eingehängt

Hörer

Der Hörer hat vier Anschlussleitungen. Vermutlich ein Paar für den Lautsprecher und ein Paar für das Mikrofon. Mit einer einfachen Widerstandsmessung sollten sich die Paare herausfinden lassen

  • 0-1: ~260 Ω
  • 2-3: ~295 Ω
  • Alle anderen Kombinationen sind entweder >20 MΩ oder oberhalb des Messbereichs des Multimeters

Um zuzuordnen, welches Paar zum Lautsprecher und welches zum Mikrofon gehört, könnte man in die beiden Muscheln pusten und mit dem Oszilloskop messen, wo eine Spannung entsteht. Das sieht dann folgendermaßen aus:

Kanal 1 (gelb) ist mit mit den Leitungen 0 und 1 verbunden. Kanal 2 (violett) ist mit Leitungen 2 und 3 verbunden.

Das erste Bild entsteht beim Pusten ins Mikrofon, das zweite beim Pusten in den Lautsprecher. Daraus ergibt sich folgende Belegung:

  • Leitungspaar 0-1: Mikrofon (260Ω)
  • Leitungspaar 2-3: Lautsprecher (295Ω)

Zur Bestätigung der Annahme kann man nun mit dem Signalgenerator eine Wechselspannung auf den Lautsprecher geben und prüfen, ob auch tatsächlich was rauskommt. Wenn ich 10mW (peak) über 295Ω abgeben will, muss ich nach dem Ohmschen Gesetz eine Spannung von 1.7V (pp) anlegen:

$$ U = \sqrt{{P} \times {R}} $$

$$ {U} = \sqrt{{10mW} \times {295Ω}} = {1.71V} $$

Und siehe da, bei 440Hz gibt der Hörer den gewohnt-beruhigenden Wählton von sich ;P

[Hörer Testton]

Laderegler?

Im Gehäuse ist noch ein weiteres PCB verbaut, das sechs Schraubklemmen hat. An zweien davon ist das Solarpanel angeschlossen.

Meine Hoffnung ist, dass es sich dabei um eine Ladeschaltung für einen 13.8V-Bleiakku handelt. Dann könnte man sie direkt weiterverwenden. Nachdem die Hauptplatine laut Beschriftung 12V bekommt und das Solarpanel bei indirektem Licht hinter dem Fenster ca. 13V liefert, ist diese Vermutung bisher nicht unplausibel.

Zur Belegung der Pins lässt sich folgendes trivial feststellen:

  • Pin 0 ist Minus des Solarmoduls (-Vsolar)
  • Pin 1 ist Plus des Solarmoduls (+Vsolar)
  • Pins 1, 3 und 5 sind direkt miteinander verbunden (+Vsolar / +Vout)
  • Pins 2 und 4 sind direkt miteinander verbunden (vermutlich -Vout)

Die vier ICs auf dem PCB sind folgendermaßen beschriftet (N oben, O rechts):

  • N: 271C (TI)08T E4F4 - vermutlich TI TLC271 oder kompatibel (OpAmp)
  • O: 285-1 2APWT - vermutlich TI LM285-1 oder kompatibel (Voltage Reference)
  • S: 27L2C (TI)OBT COTO - vermutlich TI TLC27 oder kompatibel (OpAmp)
  • W: 4920 (SS?) AGΔ W09B - möglicherweise Vishay Si4920DY kompatibel (N-Ch MOSFET)

Daraus ergeben sich folgende Vermutungen:

  • Die Schaltung hat einen Spannungseingang (Pins 0-1)
  • Die Schaltung hat einen Spannungsausgang (Pins 2-3 bzw. 4-5). Es gibt unten links auf dem PCB einen unbestückten IC-footprint, der mit einem Draht gebrückt ist. Dieser stellt die Verbindung der Pins 2-4 her. Möglicherweise könnte eine Variante dieses PCB zwei Ausgänge (Pins 2-3 und 4-5) getrennt steuern
  • Der Ausgang wird von einem N-Kanal MOSFET getrieben
  • Es ist kein linearer Spannungsregler, dafür wäre eine einfachere Schaltung ausreichend
  • Es ist kein Schaltregler, dafür fehlen Spulen
  • Aufgrund des Voltage Reference ICs (und der OpAmps) vermute ich einen "etwas smarteren" Spannungsregler

Anstatt jetzt einen Schaltplan aufzuzeichnen und die Schaltung theoretisch zu analysieren, lege ich einfach eine Spannung von 14V am Eingang an und messe, was am Ausgang passiert: Ohne Last stellt sich dort eine Spannung von 4.3V ein.

Ich verbinde eine 200Ω Last mit dem Ausgang, die Spannung steigt auf 4.7V.

Ich verstehe nicht, was passiert und wage einfach das Experiment: Ich schließe am Ausgang einen kleinen 7Ah-Bleigelakku an, der im Leerlauf ca 12.8V misst. In Serie ist eine Amperemeter und parallel ein Voltmeter. Ich lege wieder per Labornetzteil 14V am Eingang an. Die Strombegrenzung muss ich auf 600mA erhöhen.

Die Spannung am Ausgang steigt auf ca. 13.8V, es fließen ca. 200mA richtung Akku. Das sieht doch vielversprechend aus. Die Ausgangsspannung entspricht zufällig genau der Nennspannung eines 6-zelligen Bleiakkus. Bei Dauerladung, also dem nicht-zyklischen Betrieb des Akkus, könnte das eine vernünftige Ladespannung sein. Haben wir hier tatsächlich einen passenden Laderegler?

Sonstige Fotos